
Bild: Donald Trump führt Wolodymyr Selenskyj und die europäischen Staats- und Regierungschefs durch das Weiße Haus, 18.8.2025 (IMAGO / ZUMA Press Wire)
Dieses Bild wird im Gedächtnis bleiben: US-Soldaten knien auf der Landebahn der Militärbasis in Anchorage und rollen den roten Teppich vor dem Flugzeug des russischen Machthabers Wladimir Putin aus. Überboten wurde der symbolische Kniefall vom 15. August nur von Donald Trumps Begrüßungsapplaus für den mit internationalem Haftbefehl gesuchten Kriegsverbrecher aus dem Kreml.
Allerdings steht Häme über dieses würdelose Schauspiel gerade den EU-Europäern, die in Alaska ebenso wenig am Tisch sitzen durften wie die überfallene Ukraine, nicht gut zu Gesicht. Vollzogen doch die Vertreter der EU im Sommer selbst zwei Unterwerfungsgesten: Die eine bestand im ostentativen Lob für die erratische Ukrainediplomatie des US-Präsidenten. Wider besseres Wissen geizten Europas Vertreter nicht mit Zuspruch für Trump, insbesondere beim denkwürdigen Treffen mit ihm und Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus am 18. August. Die andere hatte kurz zuvor Ursula von der Leyen in Trumps schottischem Golfresort vollführt, als die EU-Kommissionspräsidentin gute Miene zum schlechten Zollabkommen machen musste. Zum Abschlussfoto mit Trump reckte sie lächelnd den Daumen in die Luft, als hätte sie nicht gerade eine Kapitulation im Handelskonflikt unterzeichnet.
Binnen weniger Tage bekamen die Europäische Union und ihre europäischen Partner in zwei entscheidenden Fragen ganz empfindlich ihre Abhängigkeit von den USA vorgeführt: in der Handelspolitik und in der Sicherheit. Für die Wahrung zentraler Interessen sind sie auf eine rechtsautoritäre Regierung angewiesen, deren Vertreter wiederholt ganz offen ihre Verachtung für die EU bekundet haben, allen voran der Präsident selbst. Die Gipfel in Schottland, Alaska und Washington demonstrieren damit überdeutlich, woran es den Europäern derzeit mangelt: an der oft geforderten strategischen Autonomie.
Warum diese für die EU so schwer erreichbar ist, bekam sie im Handelsstreit mit den USA unerbittlich vorgeführt: Unterschiedliche wirtschaftliche Interessen und alte transatlantische Bindungen der europäischen Regierungen standen einer gemeinsamen Antwort im Weg. Nachdem Trump im April bei seiner Ankündigung hoher Zölle gegen nahezu alle Staaten weltweit auch die traditionellen Verbündeten in Europa nicht ausgespart hatte, wurde in Brüssel und den europäischen Hauptstädten zunächst noch Härte beschworen. Es gelte, aus einer Position der Stärke heraus zu verhandeln. Dazu verständigten sich alle EU-Mitglieder (bis auf Ungarn) auf umfassende Gegenmaßnahmen: Strafzölle in Milliardenhöhe auf zahlreiche US-Waren, von Sojabohnen über Jeans bis hin zu Flugzeugen, sollten als mögliche Vergeltung für von Washington erhobene Zölle verhängt werden.
Doch am 27. Juli einigte sich von der Leyen mit Trump auf ein Abkommen, das in seiner offenkundigen Unausgewogenheit klar die EU benachteiligt. Während die USA die meisten Importe aus der EU mit Zöllen in Höhe von 15 Prozent belegen werden, dürfen US-Unternehmen Industriegüter künftig zollfrei in die EU einführen. Diese Regelung wird zwar auch amerikanische Konsumenten treffen, aber für viele europäische Firmen bedeutet sie eine massive Belastung, Europas Wirtschaftswachstum dürfte darunter erheblich leiden.[1] Brüssel ist sogar so weit gegangen, den USA die Aufweichung von Sozial-, Umwelt- und Sicherheitsstandards in Aussicht zu stellen. Das betrifft neben dem Lieferkettengesetz[2] und der Entwaldungsverordnung beispielsweise ganz konkret die Einfuhr ultragroßer Pick-up-Trucks, deren Schadstoffausstoß um ein Vielfaches höher ist als bei durchschnittlichen Neuwagen und die für Fußgänger besonders gefährlich sind.[3]
Wie es anders geht, hatte kurz zuvor China gezeigt: Die Volksrepublik reagierte auf Trumps Zolldrohungen mit vergleichbarer Härte und zwang Wa-shington schließlich zur Kehrtwende.[4] Doch für ein ähnliches Vorgehen erwies sich die Einheit in der EU als zu brüchig. Insbesondere die Regierungen Deutschlands und Italiens fürchteten die angedrohten US-Zölle von 27,5 Prozent auf die für beide Länder wichtigen Autoexporte und gaben einer raschen Einigung den Vorzug vor einem Kräftemessen mit ungewissem Ausgang; europäische Autoimporte in die USA sollen künftig mit Zöllen in Höhe von 15 statt wie bislang 2,5 Prozent belegt werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass noch nicht alle politisch Verantwortlichen in der EU auch mental in der Ära Trump angekommen sind und in den USA nach wie vor den Partner sehen, der diese nicht mehr sein wollen. Die EU wirkt damit schlecht vorbereitet auf den fundamentalen Umbruch der Welthandelsordnung, den wir derzeit beobachten. Die USA, aber auch China, spielen zunehmend nach Regeln, die eher den Gewohnheiten von vor dem Zweiten Weltkrieg gleichen und Handel zur Waffe in Machtkämpfen machen.[5] Die EU hingegen hält noch an den Gepflogenheiten der vergangenen 80 Jahre fest, als neben der Politik auch der Handel international verregelt war.
Allerdings erklärt sich das Einknicken der EU vor der Trumpschen Drohkulisse nicht allein mit wirtschaftlichen Motiven oder der politischen Kultur. „Es ging nicht nur um Handel“, räumte der zuständige EU-Kommissar Maroš Šefčovič offen ein: „Es geht um Sicherheit, es geht um die Ukraine, es geht um die aktuelle geopolitische Instabilität.“[6] Das Zollabkommen, deutete der slowakische Politiker an, solle helfen, die USA im Konflikt mit Russland auf der Seite der Europäer zu halten. Dieses Argument wiegt umso schwerer, als derzeit erheblich Bewegung in die festgefahrene Lage um die Ukraine gekommen ist – aber unklar bleibt, zu wessen Gunsten.
Ein neues Jalta verhindern
Europa ist also erpressbar, befindet sich dabei aber in einer anderen Lage als im Handelskonflikt: Militärisch ist die EU einerseits deutlich schwächer als wirtschaftlich und damit noch stärker von den USA abhängig. Andererseits treten die Europäer mit Blick auf den Ukrainekrieg – anders als im Handelskonflikt – seit Trumps Wahlsieg so geschlossen und entschieden auf wie lange nicht. Verantwortlich dafür ist ein ad hoc gebildetes Kerneuropa, dem auch das Nicht-EU-Mitglied Großbritannien angehört und das sich eng mit weiteren, auch außereuropäischen Verbündeten abstimmt, darunter Norwegen, Japan und Kanada. Koordiniert von Paris und London und neuerdings auch von Berlin, kann diese Gruppe einen gewissen Einfluss auf Trump ausüben und hat so bislang verhindert, dass Russland die USA im Sinne eines neuen Jalta mindestens aus Mittelosteuropa verdrängt, was Putins strategischem Ziel entsprechen würde.
Blieb den Europäern am 15. August bloß der bange Blick zum russisch-amerikanischen Gipfel in Alaska, so saßen ihre Vertreter drei Tage später als eine Art Geleitschutz für Selenskyj in Washington mit am Tisch und konnten europäische Sicherheitsinteressen geltend machen. Die ungewöhnliche Reisegruppe umfasste den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premier Keir Starmer, Kanzler Friedrich Merz, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und den finnischen Präsidenten Alexander Stubb sowie von der Leyen und den niederländischen Nato-Generalsekretär Mark Rutte.
Dieses geschlossene Vorgehen ist eine Leistung an sich, schon die jetzt erfolgte Wiederannäherung Londons an die EU nach Jahren der Brexitverstimmungen ist nicht selbstverständlich. Das gut koordinierte Auftreten der sieben Europäerinnen und Europäer in Washington sendet auch ein wichtiges Signal an Putin: Europa ist nicht bereit, sein Schicksal von echten oder eingebildeten Großmächten bestimmen zu lassen.
Dennoch: Wenn die mächtigsten europäischen Staaten schon ihre Teilnahme an Gesprächen über einen Krieg auf ihrem eigenen Kontinent als Erfolg feiern müssen, ist das Ausdruck eines politischen Scheiterns. Gegenüber Trump agiert die EU ebenso wie Kyjiw aus einer Position der Schwäche – unverschuldet im Fall der stark von ihren Verbündeten abhängigen Ukraine, weitgehend selbstverschuldet bei den übrigen Europäern. Nicht nur haben sich zahlreiche Regierungen, allen voran diverse deutsche, in Russland getäuscht, sondern ihre Strategien auch auf eine transatlantische Verbundenheit gegründet, die es so nicht mehr gibt.
Spätestens nach dem ersten Wahlsieg von Trump hätte die EU jene „strategische Autonomie“ entwickeln müssen, für die Macron schon 2017 plädiert hatte. Stattdessen wollten viele Regierungen in der Präsidentschaft Joe Bidens eine Rückkehr zur Normalität erkennen, statt darin die Ausnahme zu sehen, die der ausgesprochen europafreundliche Demokrat markierte. Auch unter einer Präsidentin Kamala Harris wäre Europa für die USA weniger bedeutsam geworden, in Fortsetzung jener Hinwendung zu Asien, die schon Barack Obama eingeleitet hatte und die Trump nun mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit vollzieht.
Druck auf Putin
Diese starke Anlehnung an Washington hat das strategische Denken in den europäischen Hauptstädten nicht eben befördert. Erkennbar fehlt ein Plan, wie der Ukrainekrieg auf eine Weise beendet werden kann, die das überfallene Land und die ebenfalls von Russland bedrohten europäischen Länder langfristig schützt. Insofern sind die Versuche der Europäer, Trump zu beeinflussen, zwar nötig, aber viel dringender müssten sie Einfluss auf einen anderen Akteur ausüben: Putin.
Der Kremlchef hat derzeit wenig Anlass, seine Strategie zu ändern. Seine Armee rückt im Osten der Ukraine vor, wenn auch langsam und unter enormen Verlusten, seine internationalen Unterstützer stehen weiter zu ihm, und wirtschaftlich ist Russland bei weitem nicht so isoliert, wie die EU das zu Beginn ihrer Sanktionspolitik gehofft hatte. Das liegt nicht zuletzt an den Europäern selbst: Sie haben im vergangenen Jahr mehr Geld für fossile Energien an Russland überwiesen, als sie zeitgleich an finanzieller Unterstützung für die Ukraine aufgewandt haben.[7]
Ohne Druck wird Putin aber kaum zu ernsthaften Verhandlungen bereit sein. Schon seine offene Ablehnung des von der Ukraine und den Europäern geforderten Waffenstillstands zeigt sein Desinteresse, den Krieg bald zu beenden. Noch aber schöpfen die EU und ihre Verbündeten ihre Möglichkeiten nicht aus. Sie könnten beispielsweise schärfer gegen die russische Schattenflotte vorgehen, die über die Ostsee illegal Öl auf den Markt transportiert und so die Kriegskasse des Kreml füllt. Ähnliches gilt für die eingefrorenen russischen Vermögenswerte in Europa. Deren Zinsertrag kommt zwar schon der Ukraine zugute, aber eine vollständige Beschlagnahmung würde enorme Summen freisetzen, die in die Verteidigung und den Wiederaufbau des angegriffenen Landes fließen könnten.[8]
Generell täten die EU und ihre Verbündeten gut daran, ihre fortgesetzte Unterstützung der Ukraine nicht nur zu bekunden, sondern so zu demons-trieren, dass Moskau sie ernst nehmen muss. Neben Finanzhilfen für Kyjiw und ökonomischem Druck auf Moskau sind dabei vor allem Waffenhilfen entscheidend. Können oder wollen die Europäer bei Rüstungsgütern nicht für die USA in die Bresche springen, geriete die Ukraine trotz einer zuletzt stark ausgebauten einheimischen Rüstungsindustrie früher oder später in existenzielle Gefahr. Ob Russland seinen Angriffskrieg fortführt oder einstellt, wird sich allen spektakulären Gipfeltreffen zum Trotz auch und vor allem an der Front entscheiden.
Das gilt umso mehr, als alle möglichen Verhandlungen von vorneherein durch die ungebrochen maximalistischen Forderungen des Kreml belastet werden, etwa durch den von Russland jüngst noch einmal verlangten Verzicht der Ukraine auf den Oblast Donezk,den die Invasionstruppen bislang nur zu etwa 80 Prozent besetzt haben. Gäbe Kyjiw diese Region auf (was die Verfassung verbietet), müsste die ukrainische Armee ihre stärksten Verteidigungsstellungen im Osten kampflos räumen – was beste Voraussetzungen für die Angreifer schaffen würde, um weiter nach Westen vorzudringen. Die besetzten Gebiete baut Moskau schon jetzt zu einem gewaltigen Aufmarschgebiet aus.[9] Völlig zu Recht hegen daher nicht nur in der Ukraine viele die Befürchtung, ein Abkommen mit Russland könnte wie bereits nach 2014 kaum mehr sein als eine Atempause vor dem nächsten Krieg.
Eine solche bloß vorläufige Beilegung des Konflikts wäre aber weder im Interesse der Ukraine noch im Interesse der EU und ihrer Verbündeten. Es ist also auch in ihrem Sinne, wenn sie Kyjiw Sicherheitsgarantien anbieten. Und da Moskau die jetzt vieldiskutierte multinationale Absicherungstruppe wohl kaum als Teil einer Verhandlungslösung akzeptieren wird, gilt es vor allem, die Ukraine finanziell und militärisch so zu stärken, dass Russland sie kein drittes Mal anzugreifen wagt.
Europa muss die vielbeschworene Bereitschaft, für sich selbst einzustehen, praktisch werden lassen. Denn, so viel scheint in diesen unübersichtlichen Zeiten sicher, die USA werden es auf absehbare Zeit nicht mehr tun.
[1] Alberto Rizzi, Scot-free: What Europeans should take from Trump’s trade deal, ecfr.eu, 28.7.2025.
[2] Vgl. dazu auch den Beitrag von Merle Groneweg in dieser Ausgabe.
[3] Vgl. EU cave in on vehicle trade rules will cost European lives as US pick-up trucks flood into Europe, transportenvironment.org, 21.8.2025.
[4] Stefan Messingschlager, Weltordnung am Wendepunkt, in: „Blätter“, 7/2025, S. 71-77.
[5] Michael B. G. Froman, After the Trade War. Remaking Rules From the Ruins of the Rules-Based System, in: „Foreign Affairs“, September/Oktober 2025.
[6] Thomas Moller-Nielsen, Šefčovič: Handelsabkommen mit USA hat sicherheitspolitische Dimensio, euractiv.de, 28.7.2025.
[7] Vaibhav Raghunandan, Petras Katinas, Isaac Levi und Luke Wickenden, EU imports of Russian fossil fuels in third year of invasion surpass financial aid sent to Ukraine, energyandcleanair.org, 24.2.2025.
[8] Keith Johnson, How Europe Can Pressure Putin – Without Trump, foreignpolicy.com, 18.8.2025.
[9] Kollen Post, Tania Myronyshena und Yuliia Taradiuk, Russia is turning occupied Ukraine into a giant military base, kyivindependent.com, 20.8.2025.